Was fehlt dem Körper bei Muskelkrämpfen wirklich?

Was fehlt dem Körper bei Muskelkrämpfen wirklich?

Von Jannika Dänzer, Medizinstudentin und Biochemie-Expertin  von the Minerals

Ich erinnere mich zurück an meine Zeit in den USA, in der ich das erste Mal in meinem Leben wirklich starke Wadenkrämpfe verzeichnen konnte. Und wenn ich stark meine, dann rede ich nicht davon, dass es ein bisschen in der Wade zieht, sondern davon nachts mehrere Minuten bewegungslos im Bett zu liegen und zu hoffen, dass die Schmerzen durch das unkontrollierte Krampfen so schnell wie möglich wieder nachlassen. Die Ursache war bei mir schnell offensichtlich: von dem typischen Vereinssport zweimal in der Woche in Deutschland, zu täglich 4 Stunden intensivem Training in den USA. Die Mehrbeanspruchung rief bei meinem Körper einen Mangelzustand hervor. Aber woran eigentlich?

Als ich meinen damaligen Gasteltern von den Krämpfen erzählte, schien die Lösung naheliegend: Magnesium. Das kann man sich an der High School im Übrigen im Schulsekretariat abholen, genauso wie Vitamin C und Zink bei Krankheit. In Deutschland wohl eher undenkbar. Hat es geholfen? Ja, das hat es. Wie ich heute weiß, war es allerdings nicht nur das Magnesium, sondern zum Beispiel auch die Tatsache, dass ich intuitiv begann, mein Essen sehr intensiv zu salzen. Natürlich passt sich auch der Körper mit der Zeit an die hohe mechanische Belastung durch den täglichen Sport an und verhindert so ein unkontrolliertes Krampfen der Wadenmuskulatur.

Aber warum sind es meist die Waden, die einen mit Muskelkrämpfen plagen? Ein anatomischer Grund ist die Tatsache, dass beim Stehen und Gehen das Gewicht des gesamten Körpers auf der Wadenmuskulatur lastet. Zusätzlich besteht die Wadenmuskulatur überwiegend aus schnell kontrahierenden Muskelfasern (Typ II), die zwar kraftvoll sind, aber schneller ermüden als langsam kontrahierende Fasern (Typ I). Da die Wadenmuskeln zudem weiter weg von der Körpermitte liegen, sammeln sich bei Belastung Metabolite, wie Laktat, dort schneller an, da sie nicht ausreichend abtransportiert werden können. Wadenkrämpfe sind also erste Warnzeichen, dass eine Überlastung der Muskulatur vorliegt.

Auch wenn Magnesium bei mir damals geholfen hat, ist es nach heutigem wissenschaftlichem Stand eigentlich nutzlos2. Vor allem, wenn nur Magnesium eingenommen wird. Stattdessen geht man mittlerweile davon aus, dass sich die Ursache von Muskelkrämpfen auf neuronaler Ebene abspielt1. Die Aktivität des Muskels steuern Nervenzellen im Rückenmark, sogenannte Alpha-Motoneurone. Sie dienen als eine Art Schaltzentrale zwischen Gehirn und Muskel und bestimmen, wie aktiv unsere Muskeln sich kontrahieren sollen. Werden diese Alpha Motoneuronen allerdings übererregt, kommt es zu einem Muskelkrampf. Ursache von Krämpfen ist demnach eine zu starke Übermüdung der Muskulatur, entweder durch ungewohnte Belastung oder zu intensive Belastung. Zusätzlich spielt der Flüssigkeitshaushalt eine wichtige Rolle, und damit ist nicht Magnesium gemeint, sondern Natrium und Kalium. Anstatt vor einer Sporteinheit also eine Tablette mit Magnesium im Wasser aufzulösen, sollte man lieber auf ein Präparat mit ausreichend Natrium zurückgreifen, im Optimalfall auch mit Glucose versetzt. Die Empfehlung bei einem akuten Muskelkrampf salziges Gurkenwasser zu trinken, scheint zunächst eventuell unseriös, hilft aber tatsächlich1. Interessant ist dabei, dass das Natrium aus dem Salz des Gurkenwassers den Flüssigkeitshaushalt nicht so schnell korrigieren könnte, dass das den akuten Muskelkrampf beheben würde. Beim Schlucken des salzhaltigen Wassers werden jedoch Rezeptoren im Mund-Rachen-Bereich aktiviert, die dem Körper signalisieren, dass eine Zufuhr an Elektrolyten erfolgt, wodurch innerhalb weniger Minuten die Alpha-Motorneurone gehemmt werden, und der Krampf endet.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass es vor allem wichtig ist den Körper mit ausreichend Elektrolyten und Flüssigkeit zu versorgen, als auch die ZNS-Belastung beim Training so zu steigern, dass der Körper sich an diese gewöhnen kann. Geht man aus dem Trainingsbereich heraus bedeutet das, dass auch Stress auf emotionaler Ebene eine Überreizung darstellt und demnach Muskelkrämpfe begünstigt. Hier ist Magnesium dann wiederum sinnvoll, da es dämpfend auf das ZNS wirkt und einen Gegenpol zur Überreizung bildet. Bei akuten Muskelkrämpfen oder auch direkt vor dem Sport ist es allerdings nicht sinnvoll.


Quellen

  1. Miller, K. C., Mack, G. W., Knight, K. L., Hopkins, J. T., Draper, D. O., Fields, P. J., & Hunter, I. (2010). Reflex inhibition of electrically induced muscle cramps in hypohydrierten Menschen. Medicine & Science in Sports & Exercise, 42(5), 953–961. https://doi.org/10.1249/MSS.0b013e3181c0647e

  2. Schwellnus, M. P., Allie, S., Derman, W., & Collins, M. (2011). Increased running speed and pre-race muscle damage as risk factors for exercise-associated muscle cramps in a 56 km ultra-marathon: A prospective cohort study. British Journal of Sports Medicine, 45(14), 1132–1136. https://doi.org/10.1136/bjsm.2010.082677
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