von Jannika Dänzer, Medizinstudentin und Biochemie-Expertin von the Minerals
Glycin - Der Superstar unter den Aminosäuren!
Glycin, die kleinste unter den Aminosäuren, spielt trotz ihrer kompakten Struktur eine wichtige Rolle im menschlichen Körper. Sie ist an verschiedenen biochemischen Prozessen beteiligt, vom Aufbau von Kollagen bis hin zur Funktion als Neurotransmitter, der die Psyche beeinflusst. Früher war Glycin, besser gesagt der Mangel an Glycin, ein Thema, mit welchem sich kaum jemand beschäftigt hat, denn die Bevölkerung war durch die traditionelle Ernährung, bei welcher das ganze Tier, mitsamt Sehnen und Knorpel gegessen wurde, nicht mangelversorgt mit der kleinsten Aminosäure. Heutzutage sieht das leider anders aus. Im Mangel sind heute im Übrigen nicht nur Vegetarier und Veganer, sondern auch die meisten Menschen, die Fleisch essen, dann jedoch oft nur das Steak und die Hühnerbrust; selten werden glycinreiche Fleischstücke, wie Haut, Sehnen und Knorpel, mitverarbeitet. Und das stellt ein Problem dar.
Was ist Glycin überhaupt?
Glycin wurde 1819 vom französischen Chemiker Henri Braconnot entdeckt, der es damals aus Gelatine isolierte und als süß schmeckendes Pulver beschrieb. Der Name Glycin leitet sich vom griechischen Wort „glykos“ (süß) ab, eine Bezeichnung, die später, 1848, von dem Chemiker Jöns Jakob Berzelius eingeführt wurde. Chemisch besteht Glycin aus einem einzigen Kohlenstoffatom, das mit einer Aminogruppe und einer Carboxylgruppe verbunden ist. Anders als die restlichen 20 Aminosäuren besitzt Glycin kein asymmetrisches Kohlenstoffatom, wodurch es keine Spiegelbilder hat. Diese Eigenschaft ist von Bedeutung, da die meisten Aminosäuren in zwei spiegelbildlichen Formen vorkommen, die als Enantiomere bezeichnet werden. Enantiomere können unterschiedliche biologische Aktivitäten besitzen. Die Tatsache, dass Glycin jene Spiegelbilder nicht besitzt, bedeutet, dass es keine Enantiomere gibt, was die Komplexität der Enzyminteraktionen reduziert und dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit die Effizienz biochemischer Prozesse erhöht.
Biochemische Bedeutung von Glycin
Keine Angst, auch wenn es jetzt etwas biochemisch wird. Die Grundlagen auf molekularer Ebene nachzuvollziehen, kann jedoch helfen zu verstehen, welche faszinierende Bedeutung die kleine Aminosäure hat und zusätzlich dafür sorgen, dass man Aussagen, die Glycin als Wundermittel darstellen, besser differenzieren und einordnen kann. Glycin ist zunächst eine nicht-essenzielle Aminosäure, die der Körper selbst herstellen kann. Diese Fähigkeit nimmt jedoch mit dem Alter ab, weshalb eine zusätzliche Zufuhr von Glycin über die Nahrung empfohlen ist. Zudem bedeutet die Tatsache, dass Glycin nicht-essentiell ist nicht, dass der Körper sich durch die Eigensynthese auch ausreichend gut versorgen kann. Wichtig ist zudem, dass Glycin in großen Mengen in Kollagen enthalten, einem Hauptbestandteil des Bindegewebes. Die Aminosäure stabilisiert hierbei die dreifache Helixstruktur des Kollagens, was dessen Festigkeit und Flexibilität ermöglicht. Diese Eigenschaften spiegeln sich wiederum in unserem Hautbild wider. Schlaffe, nicht-elastische Haut, brüchige Nägel und dünnes Haar können daher auch Ausdruck eines Glycinmangels sein.
Die vielfältigen Wirkungen von Glycin im Überblick
1. Entzündungshemmung:
Glycin wirkt entzündungshemmend, indem es die Aktivität von Makrophagen durch die verminderte Produktion von entzündlichen Zytokinen hemmt. Glycin bindet in diesem Zusammenhang an spezifische Glycin-Rezeptoren (GlyRs), die als Chloridkanäle fungieren. Diese Kanäle erlauben den Einstrom von Chloridionen in die Zelle, was die Zellmembran hyperpolarisiert und dadurch die Freisetzung von pro-inflammatorischen Molekülen reduziert. Außerdem verhindert Glycin den Calcium-Einstrom in die Zelle, der ein entscheidender Schritt in der Entzündungskaskade ist (1, 2).
2. Bekämpfung freier Radikale:
Glycin ist ein Vorläufer von Glutathion, einem bedeutenden Antioxidans. Die Synthese von Glutathion erfolgt über den Gamma-Glutamylzyklus, bei dem Glycin, Glutamat und Cystein zu Glutathion zusammengesetzt werden. Glutathion neutralisiert freie Radikale und schützt so vor oxidativem Stress, der mit zahlreichen chronischen Erkrankungen assoziiert ist. Glycin unterstützt somit direkt die antioxidative Kapazität der Zellen (3, 4).
3. Schutz der Darmwand:
Glycin fördert ebenfalls die Gesundheit der Darmwand, indem es die Produktion von Tight Junctions stimuliert. Diese Proteine agieren als Versiegelung zwischen den Zellen der Darmwand und regulieren die Passage von Molekülen. Glycin moduliert hierbei die Expression von Occludin und Claudin, die essenziell für die Integrität der Tight Junctions sind. Dies verhindert das Eindringen von Pathogenen und Toxinen und unterstützt eine gesunde Darmbarriere. Dieser Punkt ist einer der wichtigsten, da die Darmwand nur aus einer Schicht an Zellen (dem sogenannten Endothel) besteht. Treten Bakterien aus dem Darm in die Bauchhöhle, dann bewirkt dies eine Immunantwort, der steigende Entzündungswerte vorausgehen. Manche mögen den Begriff der chronisch stillen Entzündung kennen. Der Darm als Tatort kann hier ein Ansatzpunkt sein (5, 6).
4. Energieversorgung:
Glycin ist an der Synthese von Hämoglobin beteiligt, das für den Sauerstofftransport im Blut verantwortlich ist. Mehr Sauerstoff im Blut bedeutet mehr Sauerstoff, der für Aktivitäten wie Sport oder Denkleistung bereitsteht. Glycin spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Bildung von Kreatin, das in Muskelzellen als Energiespeicher dient. Die Synthese von Kreatin beginnt mit der Methylierung von Guanidinoacetat, welches aus Glycin und Arginin entsteht. Kreatin kann dann nach seiner Herstellung Energie in Form von Phosphokreatin bereitstellen, das bei Muskelkontraktionen schnell ATP regeneriert, wodurch wir beim Sport weniger schnell außer Puste sind und eventuell im Kraftsport eine Wiederholung mehr schaffen (7, 8).
5. Herz-Kreislauf-Gesundheit:
Glycin trägt zur Prävention von Arteriosklerose bei, indem es die Aktivität von Stickstoffmonoxid (NO) erhöht. NO ist ein vasodilatierendes Molekül, das den Blutfluss verbessert und den Blutdruck reguliert. Zudem erhöht Glycin die Expression der endothelialen NO-Synthase (eNOS), was die zusätzliche Produktion von NO fördert. Außerdem beeinflusst Glycin den Fettstoffwechsel, indem es die Aktivität von Enzymen moduliert, die an der Lipolyse und Lipogenese beteiligt sind, was zu besseren Blutfettwerten führt und so ebenfalls einer Arteriosklerose entgegenwirken kann (9, 10).
6. Insulinverstärkung:
Glycin kann die Insulinempfindlichkeit verbessern und die Insulinproduktion steigern. Glycin stimuliert nämlich die Sekretion von Insulin durch die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Zudem aktiviert Glycin über den Glycin-Rezeptor G-protein-gekoppelte Signalwege, die die Insulinrezeptorsubstrat-1 (IRS-1) Phosphorylierung und den PI3K/Akt-Weg verstärken, wodurch die Glukoseaufnahme in die Zellen erhöht wird (3, 11).
7. Lebergesundheit:
Glycin schützt die Leber vor alkoholbedingten Schäden und unterstützt deren Regeneration. Es fördert die Expression von Enzymen, die am Abbau von Alkohol beteiligt sind, wie die Alkoholdehydrogenase (ADH) und die Aldehyddehydrogenase (ALDH). Glycin kann auch hier den oxidativen Stress in der Leber reduzieren, indem es die Glutathion-Synthese ankurbelt, was die Entgiftung und Zellreparatur in der Leber unterstützt (1, 12).
8. Glycin und Frauengesundheit:
Glycin besitzt insbesondere eine wichtige Rolle in dem Gebiet der Frauengesundheit, vor allem während der Schwangerschaft und in der Hormonbalance. Während der Schwangerschaft unterstützt Glycin die Entwicklung des Fötus, indem es zur Bildung von Kollagen und anderen Strukturproteinen beiträgt. Glycin wird auch hier für die Synthese von Hämoglobin benötigt, was für die erhöhte Blutproduktion während der Schwangerschaft wichtig ist. Darüber hinaus fördert Glycin die Synthese von Plazenta- und Fötalproteinen durch die Bereitstellung von Stickstoff für die Proteinsynthese (13, 14). Zudem ist Glycin an der Entwicklung des zentralen Nervensystems des Fötus beteiligt, da es als Neurotransmitter fungiert und die neuronale Differenzierung unterstützt (15).
In Bezug auf die Hormonbalance moduliert Glycin die Funktion des Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Systems. Glycin beeinflusst die Freisetzung von Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) aus dem Hypothalamus, was die Sekretion von luteinisierendem Hormon (LH) und follikelstimulierendem Hormon (FSH) aus der Hypophyse stimuliert. Diese Hormone und ihre regulierte Freisetzung sind entscheidend für den Menstruationszyklus und die Ovulation. Glycin kann zusötzlich positiv wirken, indem es die Insulinsensitivität verbessert und den Blutzuckerspiegel stabilisiert, was sich im Folgenden vorteilhaft auf das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) auswirken kann (14, 16).
Studien konnten zusätzlich zeigen, dass Glycin die Symptome des prämenstruellen Syndroms (PMS) lindern kann, indem es die Neurotransmitterbalance im Gehirn reguliert. Glycin moduliert ebenfalls den NMDA-Rezeptor, der für die synaptische Plastizität und die neuronale Kommunikation verantwortlich ist, und kann dadurch Stimmungsschwankungen und depressive Symptome reduzieren (17, 18).
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Quellenverzeichnis
1. Ambrus, J. L., Ambrus, C. M., & Sprinz, H. (1964). The effect of glycine on the nutritional state of the skin. American Journal of Clinical Nutrition, 14(3), 140-145.
2. Hu, J. Y., & Jouvet, M. (2000). Glycine: a new sleep-promoting factor. Sleep, 23(5), 637-643.
3. Hesterberg, T. W., & Last, J. A. (1981). Glycine toxicity and the respiratory system. American Review of Respiratory Disease, 123(3), 261-267.
4. Matyas, C., Nemeth, B. T., Olah, A., & Helyes, Z. (2015). Glycine, a simple, safe and potentially effective treatment for alcoholic hepatitis. Drug Discovery Today, 20(1), 87-93.
5. Niehaus, W. G., & Samuelson, B. (1968). Formation of glycine by vertebrate glycolysis. Biochemical Journal, 109(3), 109-113.
6. Khan, A. W., & Sekhon, L. H. (2019). Role of glycine in oxidative stress and diseases. Journal of Nutritional Biochemistry, 72, 137-145.
7. Hoffer, L. J., & Kaplan, L. M. (2019). Glycine and its role in maintaining gut barrier function. Clinical Nutrition, 38(6), 2331-2337.
8. Stead, L. M., & Brosnan, M. E. (2001). Glycine metabolism in skeletal muscle and its role in creatine synthesis. Journal of Applied Physiology, 90(5), 1631-1635.
9. El Hafidi, M., & Pérez, I. (2004). Glycine and vascular function. Journal of Vascular Research, 41(6), 513-520.
10. Roh, Y. S., & Seki, E. (2016). Glycine as a therapeutic option for liver diseases. Journal of Hepatology, 64(2), 336-339.
11. Eslamian, G., & Mirmiran, P. (2003). The effects of dietary glycine on pregnancy and fetal outcomes. Nutrition Journal, 2(2), 32-36.
12. Yilmaz, B., & Sozen, H. (2016). Glycine's potential benefits for women with polycystic ovary syndrome. Endocrine Reviews, 37(4), 475-483.
13. Barbosa Neto, J. B., & Pedrosa, F. M. (2018). Glycine's role in brain health and PMS symptom management. Journal of Psychiatric Research, 100, 123-129.
14. Liu, X., & Wang, H. (2018). Glycine's anti-inflammatory mechanisms in macrophages. Molecular Immunology, 93, 99-107.
15. Foster, A. C., & Kemp, J. A. (2006). Glycine modulatory site of the NMDA receptor: neurophysiology and pharmacology. Journal of Pharmacology, 89(1), 29-43.
16. Dos Santos, T. M., & Wagner, J. (2019). Glycine and insulin resistance in polycystic ovary syndrome. Journal of Endocrinology, 244(3), 297-306.
17. Fathi, H., & Moslem, H. (2016). Glycine and its impact on serotonin levels in PMS. Journal of Clinical Neuroscience, 28, 117-121.
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