Von Jannika Dänzer, Medizinstudentin und Biochemie-Expertin von the Minerals
Taurin – mehr als nur Bestandteil von Energy-Drinks
Taurin (2-Aminoethansulfonsäure) ist eine schwefelhaltige, semi-essentielle Verbindung, die nicht in Proteine eingebaut wird, aber in zahlreichen Geweben wie Herz, Gehirn, Netzhaut, Muskulatur und Leber in hohen Konzentrationen vorkommt. Es übernimmt zentrale Aufgaben im menschlichen Körper: Dazu gehören die Regulierung des osmotischen Drucks, die Stabilisierung von Zellmembranen, die Modulation von Ionenkanälen sowie die Beteiligung an der Konjugation von Gallensäuren. Taurin kann endogen synthetisiert werden, hauptsächlich aus Cystein unter Vitamin-B6-Abhängigkeit, doch hängen Verfügbarkeit und Bedarf von Faktoren wie Ernährung, Enzymaktivität und Energieversorgung ab.
Wirkmechanismen und physiologische Funktionen
Die biologischen Effekte von Taurin sind vielfältig. Es wirkt antioxidativ, indem es sowohl freie Radikale direkt abfängt als auch körpereigene antioxidative Systeme unterstützt. Darüber hinaus moduliert es die Kalzium-Homöostase, lindert Stress im endoplasmatischen Retikulum (entscheidend bei der Muskelkontraktion) und stabilisiert Membranlipide. Auch entzündungshemmende Effekte wurden beschrieben, unter anderem durch Hemmung von NF-κB-Signalwegen. Im zentralen Nervensystem wirkt Taurin regulierend auf das Gleichgewicht von hemmenden und erregenden Neurotransmittersystemen, etwa durch Interaktion mit GABA-Rezeptoren, wodurch es exzitatorische Übererregung dämpfen kann¹.
Blutdruck und Herz-Kreislauf-Gesundheit
Mehrere Metaanalysen und randomisierte kontrollierte Studien zeigen, dass Taurin positive Effekte auf den Blutdruck und die Gefäßfunktion entfalten kann. Eine Metaanalyse, die mehrere klinische Studien zusammenfasste, dokumentierte signifikante Senkungen sowohl des systolischen als auch des diastolischen Blutdrucks bei Dosierungen zwischen 1 und 6 g pro Tag über Zeiträume bis zu zwölf Wochen². Besonders eindrücklich war eine placebokontrollierte Doppelblindstudie bei Personen mit Prä-Hypertonie: Dort senkte eine tägliche Einnahme von 1,6 g Taurin über zwölf Wochen den Blutdruck sowohl in der klinischen Messung als auch in der 24-h-Ambulanzsignifikanz³. In Studien mit Patient:innen mit metabolischen Störungen oder Lebererkrankungen kam es zudem nicht nur zu Blutdrucksenkungen, sondern auch zu deutlichen Verbesserungen der Triglycerid- und Gesamtcholesterinwerte⁴.
Stoffwechsel, Insulinresistenz und Lipidprofil
Taurin beeinflusst auch Parameter des Stoffwechsels. In einer systematischen Übersichtsarbeit mit mehr als 1.000 Teilnehmenden wurden Verbesserungen bei Blutdruck, Nüchternblutzucker und Triglyceridspiegeln festgestellt, während die Effekte auf HDL-Cholesterin weniger konsistent waren⁵. Besonders bei übergewichtigen und adipösen Personen zeigte sich eine günstige Wirkung auf Nüchterninsulin und Marker der Insulinresistenz. Damit könnte Taurin eine Rolle in der Prävention des metabolischen Syndroms und von Typ-2-Diabetes einnehmen, auch wenn hierfür größere Langzeitstudien benötigt werden.
Taurin und Alterung
Eines der spannendsten Forschungsgebiete betrifft die Rolle von Taurin im Alterungsprozess. Eine 2023 in Science veröffentlichte Arbeit zeigte, dass die Taurinspiegel mit zunehmendem Alter bei Mäusen, Rhesusaffen und Menschen abnehmen und dass eine Supplementierung bei Mäusen ab mittlerem Alter die mittlere Lebensspanne um etwa 10–12 % verlängerte¹⁶. Gleichzeitig verbesserte sich die sogenannte Gesundheitsspanne („health span“): Muskelfunktion, Knochendichte, metabolische Parameter, Immunfunktion und Marker für DNA-Schäden zeigten Verbesserungen. Mechanistisch erklärt sich dies durch weniger mitochondrialen Stress, weniger inflammatorische Prozesse und eine verlangsamte zelluläre Seneszenz. Dennoch sind diese beeindruckenden Ergebnisse bislang nicht in großen Humanstudien bestätigt, und eine Analyse des National Institutes of Health kam zu dem Schluss, dass Taurinspiegel beim Menschen kein verlässlicher Biomarker für Alterung sind, da sie individuell stark variieren⁷.
Neurologische Effekte und neuroprotektives Potenzial
Taurin scheint auch für die neurologische Gesundheit relevant zu sein. Tiermodelle deuten darauf hin, dass Taurin kognitive Defizite bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer abmildern kann, indem es die Ablagerung pathologischer Proteine hemmt und synaptische Funktionen unterstützt¹⁸. Zudem wurden Effekte bei Schlaganfall, Epilepsie und diabetischer Neuropathie beschrieben. Die Mechanismen beinhalten eine Modulation von Kalziumströmen, Schutz vor oxidativem und ER-Stress sowie die Stabilisierung der mitochondrialen Funktion. Humanstudien auf diesem Gebiet sind bislang kleiner und explorativ, doch sie legen nahe, dass Taurin neuronale Übererregung reduzieren und die Stressresilienz des Gehirns steigern kann.
Sicherheit und Dosierung
In klinischen Studien wurden Dosierungen von 0,5 bis 6 g Taurin pro Tag über Wochen bis Monate eingesetzt. In diesem Bereich gilt Taurin als gut verträglich, schwerwiegende Nebenwirkungen wurden nicht berichtet²˒⁴˒⁵. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stuft eine Zufuhr bis zu 6 g/Tag als sicher ein. Allerdings fehlen noch systematische Untersuchungen über sehr lange Einnahmezeiträume (mehrere Jahre) und für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Kinder, Schwangere oder Patient:innen mit schwerer Nieren- oder Lebererkrankung.
Noch einmal zusammengefasst
Taurin ist weit mehr als ein Zusatzstoff in Energy-Drinks. Es übernimmt essenzielle Funktionen im Körper und zeigt in klinischen Studien günstige Effekte auf Blutdruck, Lipidprofile und Insulinempfindlichkeit. Tierexperimentelle Daten deuten zudem auf eine potenziell lebensverlängernde Wirkung hin, deren Übertragbarkeit auf den Menschen allerdings noch nicht belegt ist. Auch neuroprotektive Eigenschaften machen Taurin zu einem spannenden Kandidaten in der Präventionsmedizin. Für gesunde Erwachsene scheint eine Supplementation von 1–3 g/Tag über begrenzte Zeiträume sicher und möglicherweise vorteilhaft, vor allem bei Risikokonstellationen wie Prä-Hypertonie oder metabolischem Syndrom. Als Langzeitstrategie oder „Anti-Aging-Therapie“ sind jedoch weitere hochwertige Humanstudien notwendig.
Quellenverzeichnis
- El Idrissi, A., & Trenkner, E. (2019). Taurine and its analogs in neurological disorders: Focus on therapeutic potential and molecular mechanisms. Frontiers in Neuroscience, 13, 1128. https://doi.org/10.3389/fnins.2019.01128
- Xu, Y., Sun, X., Fang, J., Zhang, M., & Kuwamori, T. (2018). The effects of oral taurine on resting blood pressure in humans: A meta-analysis. Hypertension Research, 41(9), 783–790. https://doi.org/10.1038/s41440-018-0046-y
- Zhang, M., Bi, L. F., Fang, J. H., Su, X. L., Da, G. L., Kuwamori, T., & Sun, X. L. (2016). Taurine supplementation lowers blood pressure and improves vascular function in prehypertension: Randomized, double-blind, placebo-controlled study. Hypertension Research, 39(5), 359–366. https://doi.org/10.1038/hr.2015.144
- Huang, D., Li, M., Li, Q., Deng, S., & Lin, Y. (2020). The effects of taurine supplementation on obesity, blood pressure and lipid profile: A meta-analysis of randomized controlled trials. Clinical Nutrition, 39(12), 3663–3671. https://doi.org/10.1016/j.clnu.2020.05.039
- Tzang, C. C., Lin, H., & Chien, Y. (2024). Taurine reduces the risk for metabolic syndrome: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Journal of Metabolic Health, 1(1), 12–23. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38755142/
- Singh, P., et al. (2023). Taurine deficiency as a driver of aging. Science, 380(6649), eabn9257. https://doi.org/10.1126/science.abn9257
- National Institutes of Health. (2025). Is taurine a reliable aging biomarker? Science, 381(6650), 100–102. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40472098/
- El Idrissi, A., & Trenkner, E. (2019). Taurine and the central nervous system: Evidence for a neuroprotective role. Neuroscience Letters, 699, 118–125. https://doi.org/10.1016/j.neulet.2018.05.010